Die gelben Schuhe

Morgens um sieben – irgendwo in München…
zieht sie ein langes, dunkles Haar von seinem Hemd.
Liest seine Kurznachricht: „Es wird heute später.“
Mit stummen Tränen setzt sie sich an den Rechner,
zieht durch die Seiten voller künstlicher Träume.
Hübsche Schuhe zum Kleid, das er an ihr nicht sieht.

Morgens um sieben – irgendwo in Erfurt…
fällt ihr der Schuhkarton aus der Hand, öffnet sich.
Ein gelber Traum mit hohen, schlanken Absätzen.
Schnell versandfertig machen, der Blick des Chefs drängt.
Sie darf ihre Arbeit nicht verlieren, nie mehr.
Das Geld reicht so schon nicht mal für das Nötigste.

Morgens um sieben – irgendwo in Bangladesch…
hat sie vor Monaten das Schuhleder gegerbt.
Die Kuh tausende Kilometer transportiert –
gnadenlos, ohne Betäubung abgeschlachtet.
Sie und ihr Sohn Laugen, Säuren ausgeliefert.
Sieben Tage Arbeit je Woche, immer zu.
Sieben Tage Ausschlag bei ihr, Husten bei ihm.

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